IAB: Grundsicherung war nicht die Ursache des Beschäftigungsbooms
21.11.2024 / 15:46 Uhr
Von Hans Bentzien
DOW JONES--Der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Sozialforschung, Bernd Fitzenberger, hat der Einschätzung widersprochen, dass die Einführung der so genannten Grundsicherung ("Hartz4") vor 20 Jahren die Ursache des deutschen Beschäftigungsbooms der vergangenen Jahre gewesen sei. In einer Diskussion anlässlich dieses Jubiläums sagte Fitzenberger außerdem, dass eine wichtige Grundannahme der damaligen Reformen nicht eingetroffen sei.
"Gründe waren die Flexibilität der Lohnverhandlungen in den 2000er Jahren, die Produktivitätssteigerungen und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der massive Exportboom", sagte er. Dadurch hätten sich die Beschäftigungschancen verbessert, aber dieser Verbesserungsprozess habe recht lange gedauert, vor allem bei Empfängern von Leistungen nach dem zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB2). "Die landeten vor allem in Niedriglohnsektor, in nicht gut bezahlten Facharbeiterjobs in der Industrie", sagte er.
Das habe sich zwar ab etwa 2010 deutlich geändert, aber: "Wir müssen heute erkennen, dass die Hypothese, die Menschen würden im Arbeitsmarkt einen gewissen Aufstieg schaffen und ihre Lohnentwicklung würde sich verbessern, nicht richtig war." Es gebe viele Menschen, die den Niedriglohnsektor kaum verlassen konnten. "Und das ist etwas, was in Zeiten von Fachkräftemangel sehr unerfreulich ist", sagte er.
Fitzenberger sprach sich gegen eine stärkere Anwendung von Sanktionen gegen Empfänger von Bürgergeld - dem Nachfolger der Grundsicherung - aus, die gegen Auflagen verstoßen. "Sanktionen sind keine Allheilmittel und werden nach meiner Meinung zu intensiv diskutiert", sagte er. Die beste Sanktion sei die, die nicht ausgesprochen werde; sie sei am wirksamsten, wenn sie im Hintergrund bleibe.
Der Ökonom wies darauf hin, dass die Erwerbstätigkeit in Deutschland sehr hoch sei. "Deutschland hatte Ende 2023 mit 77 Prozent eine der höchsten Erwerbstätigkeitsquoten weltweit. Wenn wir den internationalen vergleichbaren Begriff der Erwerbslosigkeit verwenden, dann haben wir mit 3,5 Prozent eine der weltweit niedrigsten Erwerbslosenquoten", sagte er. Die Zahl der Menschen in Grundsicherung sei von 2014 bis Ende 2023 von 4,2 Millionen auf 2,8 Millionen gesunken.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
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